Ich wurde in Berlin geboren. In den Jahren 1896 - 99 genoss ich die Ausbildung im Pestalozzi-Fröbelhaus, bestand das Kindergärtnerinnen-Examen und bildete mich weiter als Lehrerin in Kindergärtnerinnen Seminaren aus. Ich habe pädagogisch und schriftstellerisch gearbeitet und Vortragskurse veranstaltet. Ich leitete durch viele Jahre meinen Privat-Kindergarten unter speziellen pädagogischen Gesichtspunkten. Ich begann 1922 mein psychoanalytisches Studium.
Die Situation 1933 änderte mit einem Schlag meine Arbeitspläne. Ich musste die schriftstellerische Tätigkeit abbrechen und auch öffentliche Vorträge konnte ich nicht mehr halten.
In demselben Jahr begann ich mit der kindergärtnerischen Privatausbildung einzelner jüdischer Mädchen, die die öffentlichen Kindergärtnerinnen-Seminare nicht besuchen durften. Ende 33 schlug mir die Dezernentin für Berufsberatung bei der jüdischen Gemeinde vor, einen Kurs für junge Mädchen einzurichten. Diese jüdischen Mädchen waren teils aus ihren Schulen, teils aus ihren Berufen hinausgeworfen. Einige waren durch ihre Erlebnisse psychisch so geschädigt, dass die Berufsberaterin den Besuch des Kursus unter psychoanalytisch ausgebildeter Leitung wie eine Art Kur auffasste .
Es war ein Häufchen aus der Bahn geworfener Jugend, das sich bei mir versammelte, Mädchen, die z.T. bereits einen seelischen Schock davon - getragen hatten. So entstand das Seminar in kleinen Anfängen. Meine Arbeit war anfangs Schwarzarbeit. Es war illegal , die Mädchen ohne behördliche Erlaubnis zu unterrichten. Wir schwebten , d.h. ich und meine Schülerinnen, dauernd in der Angst vor Bestrafung und Schliessung des Seminars. Einmal war auch tatsächlich aus irgendwelchen nicht mehr erinnerlichen Gründen, das Seminar für einige Tage geschlossen. Es muss eine Anzeige von einem Nazi-Hausbewohner erstattet worden sein. Ich versuchte zwar dem unter uns wohnenden Mieter, einen Schneider, dadurch zum Schweigen zu bringen, dass ich mir einen teuern Mantel bei ihm bestellte. Als dieser Angstzustand zu aufregend wurde, zog ich einen “arischen” Juristen zu Rate, der selbst aus politischen Gründen abgebaut war.
Es handelte sich dabei darum, mir eine offizielle Erlaubnis für die Führung des Seminars zu verschaffen. Da dieser Jurist gute Beziehungen zu den dafür zuständigen Nazi-Beamten hatte, machte er eine Eingabe für mich. Diese Eingabe wurde so abgefasst, dass keine Antwort auf sie eine Erlaubnis bedeutete. Er sorgte persönlich dafür, dass die Eingabe vor seinen Augen in die Akten vergraben wurde, so dass kein Verbot erfolgen konnte. So arbeiteten wir eine Weile ruhig weiter.
- 2 -
Nach etwa einem Jahr, Anfang 1934, vergrösserte sich die Schülerinnenzahl, so dass der Jurist mir riet, nun offiziel eine Bestätigung der Genehmigung zu bekommen. Er selbst verliess plötzlich Berlin und seine Frau, bisher Polizeirätin, übernahm meinen Fall. Sie erreichte, indem sie ihre weiblichen Reize bewusst spielen liess, dass ein älterer Beamter die Bewilligung geben wollte, wenn die jüdische Gemeinde als juristischer Träger des Seminars fungieren würde.
Ich erreichte, dass sie und ich vom Vorstand der jüdischen Gemeinde empfangen wurden. Den Zeitumständen entsprechend verhielten sich die Herren der Gemeinde sehr ablehnend und voller Misstrauen gegen die Juristin, in der sie vielleicht einen Nazi-Spion sahen. Schliesslich wurde aber von der jüdischen Gemeinde Berlin mein Seminar unter dem Decknamen “Umschulungslehrgänge” übernommen. Der Unterricht im Seminar wurde durch die offizielle Anerkennung sehr erschwert, indem wir unter schikanösen Vorschriften zu leiden hatten.
Als einmal eine Schulrätin zum Hospitieren kam, war sie voller Lob und Erstaunen über die Qualität des von einer Schülerin ausgearbeiteten Protokolls. Sie bat uns, einige der Protokolle zur Ansicht mitnehmen zu dürfen. Sie nahm sie selbst aus der Mappe. Nach ihrem Weggang entdeckten die unterrichtende Lehrerin und ich, dass sie auch ein Protokoll einer Lehrstunde mitgenommen hatte, die einen Artikel aus der “Jüdischen Rundschau” behandelte. Wegen dieses Artikels war “Die Jüdische Rundschau" für drei Monate verboten. So schwebten wir Monate in der Angst verhaftet zu werden. Wenn ich mit Schülerinnen eine Stoff behandelte, der dem Nazi-Geist zuwider war, hatte ich immer ein anderes Buch bereit, um bei einer unerwarteten Inspektion das Thema zu wechseln.
Politik durfte von den Schülerinnen nicht diskutiert werden. Trotzdem hatte es sich herumgesprochen, dass eines der Mädchen als Kommunistin ein Jahr im Gefängnis gesessen hätte. Obgleich diese mir vorher nicht bekannte Tatsache das Seminar in schwerster Weise gefährdete, behielt ich die Schülerin unter dem Versprechen sich politischen Kreisen fern zu halten. Nach kurzer Zeit erschien dieses Mädchen mit einer anderen Schülerin, um mir zu berichten, sie gehörten einer kommunistischen Geheimorganisation an, waren am Samstag dort zu einer Versammlung gewesen und am folgenden Tage hatte dort eine Haussuchung stattgefunden. Briefe und andere Schriften dieser beiden Mädchen, hätten sich dort befunden. Wieder schwebte das Seminar und ich als Leiterin in Gefahr. Es geschah aber nichts.
Eines Tages erschien in meinem Büreau ein Polizist, der in sehr energischer Weise mir Vorhaltungen machte, dass ich abgehenden Schülerinnen Stellen in jüdischen Familien und Anstalten vermittelt hätte. Es war vor ganz kurzer Zeit ein neues Gesetz herausgekommen, dass auch jüdische Mädchen nur durch eine offizielle Vermittlungsstelle Arbeit bekommen dürften.
- 3 -
Die jüdische Gemeinde schien schien ebensowenig wie ich von diesem Gesetz etwas zu wissen. Der Beamte war etwa eine Stunde mei mir, fragte mich in jeder Weise aus und versicherte mir, es würde wohl eine grössere Geldstrafe oder wahrscheinlich Gefängnis darauf stehen. Er kam am nächste Tag wieder zu einem eingehenden Verhör meiner Sekretärin. Auch diesmal ist nichts erfolgt.
Das Seminar musste die Wohnung im Herbst 1938 verlassen, konnte natürlich keine neuen Räume finden und wurde von der jüdischen Schule am Kaiserdamm aufgenommen. Ich schloss das Seminar am 1.3.1939, weil sowohl die meisten der Lehrkräfte, als auch die Schülerinnen auswanderten.
Meine eigene Auswanderung, die für Mitte März vorgesehen war, wurde durch meine Erkrankung verzögert. Ich lag wegen eines plötzlich aufgetretenen Herzleidens, das die Aerzte auf die Aufregungen zurückführten, im jüdischen Krankenhaus in Berlin, bis ich im Mai 1939 nach London flog. Ich konnte erst nach dem Krieg in meine schriftstellerische Arbeit hineinkommen.
- 4 -
Anfang der Nazi-Zeit hatte die Leiterin meines Privatkindergartens, den sie 1930 als meine Nachfolgerin übernommen hatte, darunter zu leiden, dass die jüdischen Kinder auf Spaziergängen Nazi-Lieder laut zu singen anfingen oder “Heil Hitler” riefen.
Etwa 1934 besuchte mich der damals 12jährige Hanno Günther, ein christliches ehemaliges Kindergartenkind von mir. Er kam, um mir zu sagen, dass er in die Hitler-Jugend eingetreten sei, ich sollte es nicht von anderer Seite hören. Der zwangsweise Eintritt bestand damals noch nicht. Ich war sehr erstaunt, da der Junge aus einem radikal links stehenden Elternhaus stammte. Auf meine erstaunte Frage, warum er dies getan hätte, antwortete er: Ich tue dies, um komunistische Propaganda zu treiben! Als er 21 Jahre war, wurde Hanno von den Nazis erschossen.
1934 oder 35 traf ich auf der Strasse die Schwiegertochter des General Feldmarschalls v. der Goltz, deren Sohn bei mir im Kindergarten gewesen war. Sie fing an trotzdem viele Menschen vorüber gingen, laut auf Hitler und die Nazis zu schimpfen. Ich brach das Gespräch bald ab, mit der Bemerkung, dass ich mich solcher Gefahr nicht aussetzen wolle.
Bis zu meiner Auswanderung 1939 standen meine Kindheitsfreundinnen, Kleckels, (Offizierstöchter) unverändert zu mir, besuchten mich und luden mich ein. Auch andere Juden verkehrten dort weiter. Trotzdem sie angestellte Beamtinnen waren, besuchten sie mich 1939 noch im jüdischen Krankenhaus in Berlin und kamen, als ich bald darauf auswanderte, auf den Flugplatz zum Abschiednehmen. Die eine hatte sich hierzu besonderen Urlaub nehmen müssen, was sie angeblich mit der wahren Begründung getan hatte.
Meine schriftstellerische Tätigkeit hatte 1933 aufgehört, nur bei dem Verlag Vobach behielt man mich weiter. Ich war dort mit einem festen Gehalt angestellt und lieferte nach wie vor eine Anzahl von Artikeln für die Frauenblätter ab, und ging zu den Vorbesprechungen zu der Redaktion. Ich hielt die Artikel ganz neutral, trotzdem wurden sie selten gedruckt. Auf Ansage von obenher, traf ich mich mit der Redakteurin, Fräulein Krähe, ausserhalb des Verlagshauses 1934 in einem kleinen unbesuchten Cafe. Die sonst überfamiliäre Redakteurin, war so unsicher, sah sich ängstlich um und ich merkte ihr an, wie ungern sie der Aufforderung, mich zu treffen, gefolgt war. Ich kündigte daraufhin die weitere Mitarbeit.
April 1933 hatte ich ein Buchmanuskript an den verlag Thienemann, Stuttgart abzuliefern, was natürlich unterblieb. 1945 bald nach Kriegsende, wurde ich um Zusendung des Manuskriptes gebeten, doch war mein einziges noch verfügbar gewesenes Exemplar inzwischen in einem Koffer verbrannt.
- 5 -
Als die Buecher des Freudschen Verlages (Int. Psychoanalytischer Verl., Wien) von den Nazis verbrannt wurden, gehoerte auch mein Buch “Psychoanalyse und Kindergarten” dazu. Als ich spaeter in England von dieser Tatsache erfuhr, hatte ich gewissermassen ein stolzes Gefuehl zu diesem Kreis zugezaehlt worden zu sein.
Waehrend meiner Studien und spaeteren Mitgliedschaft in der Berliner Gruppe der Int. Psychoan. Ges. waren die meisten Analytiker Juden. Die Berliner Gruppe war der wissenschaftliche Verein, der wohl am laengsten zoegerte unter Nazidruck die Juden auszuschliessen, sodass die gemeinsame Arbeit laenger fortgefuehrt wurde als wo anders, freilich soweit ueberhaupt noch juedische Psychoanalytiker in Berlin geblieben waren. Sobald keine Moeglichkeit mehr fuer die Mitgliedschaft von Juden bestand, liess der derzeitige arische Vorsitzende, Dr. Boehm uns einzeln zu sich kommen, um mit uns die Sachlage zu besprechen. Die Entlassungsunterredung mit Dr. B. war ein fuer mich unvergesslicher, ernster Augenblick, so erfuellt von seiner wuerdevollen, tief mitempfindenden Haltung, dass es aus jener niederdrueckenden Nazizeit wie etwas Erhebendes in meiner Erinnerung steht.
Bald nach diesem Ausschluss hatte ich viele Telephonanrufe und Besuche von Aerzten (Psychiatern) die mich baten, ihnen meine psychoanalytischen Zeitschriften und Buecher zu verkaufen. Trotz ausserordentlich hoher Angebote der Bezahlung traute ich mich nicht darauf einzugehen.
Als ich im Jahre 1934 mein Kindergaertnerinnenseminar in Verbindung mit der juedischen Gemeinde beginnen wollte, meldete ich mich zu einer Besprechung bei der damaligen Vorsteherin des Pestalozzi-Froebel-Hauses (Lilly Droescher) an, die mir in bereitwilligster Weise gegeben wurde. Ich fuehlte mich noch immer sehr mit dem P.F.H. verbunden und wollte das Seminar nicht eroeffnen, ehe ich dort davon Mitteilung gemacht haette; ganz besonders auch weil ich bisher als (Vorstands-) Mitglied der Kindergaertnerischen Berufsorganisation Privat-Seminare stets bekaempft hatte. Fraeulein Droescher befuerwortete die geplante Arbeit sehr und gab mir leihweise Unterrichtsplaene und aehnliches Material zu meiner Vorbereitung.
- 6 -
Zwei Begegnungen sind mir in Erinnerung. Im Jahre 1933 traf ich eine Lehrerin des Pestalozzi-Froebel-Hauses, Fraeulein Corvinus, auf der Strasse und wollte an ihr Vorbeigehen. Sie blieb aber stehen, schuettelte mir die Hand wie zu einer Kondolenz, und wir unterhielten uns laengere Zeit. Aehnlich war es bei der Begegnung mit der Oberin des Augusta Victoria-Kinderkrankenhauses in Charlottenburg, die ich von meinen Vortraegen dort kannte. Auch sie zeigte nur Freundlichkeit.
Anders benahm sich die Vorsitzende der Berufsorganisation der Kindergaertnerinnen. Jahrelang haben wir uns bei den Sitzungen getroffen und mehrmals war ich bei ihr in Stadt Roda in Thueringen, um ueber die von ihr geleiteten Sozialeinrichtungen in Zeitungen zu berichten. Als ich im Jahre 1939 vor meiner Auswanderung an sie schrieb und sie bat, mir eine Bestaetigung ueber meine Mitarbeit zu geben, lehnte sie das nicht nur ab, sondern ueberliess es ihrer Sekretaerin mir einen kuehl gehaltenen Antwortbrief zu schreiben.
Aus meiner Seminararbeit will ich nachtragend folgendes mitteilen: Im Jahre 1936 war ich genoetigt auf Grund einer neuen Verordnung eine "Halb-Arierin" ein halbes Jahr vor ihrem Examen auszuweisen, da die Nazis ploetzlich verordneten, dass solche Maedchen keine juedische Lehranstalt besuchen duerften.
Von Interesse duerfte folgendes sein: Ich wollte im Jahre 1936 eine neue Seminarwohnung beziehen. Ich ging zu dem Hauswirt des Hauses Wilmersdorfer Strasse 94 zur Besprechung und Festsetzung des Kontraktes. Er gab bei dieser Unterredung, wo er den Kontrakt entwarf, ein falsches Datum an. Und auf meinen Einwurf, dass er sich geirrt haette, winkte er ab und ingnorierte es. Mir kam die Sache anruechig vor und als ich zur Unterschreibung des Kontraktes wieder hinging, nahm ich einen mir befreundeten Juristen, Dr. Koehne, als Zeugen mit. Dr. Koehne bestand darauf, dass das richtige Datum eingesetzt wurde und erklaerte mir nachher, warum der Wirt das haette tun wollen. Ich entsinne mich nicht mehr auf den Grund, weiss nur noch, dass er dadurch eine gesetzliche Verordnung umgehen wollte. Als mir die Seminarraeume im Jahre 1938 (oder 1937) gekuendigt wurden, bat man mich von einem Tag zum anderen in das Vermietungsbuero. Ich konnte
- 7 -
in der Eile niemanden finden, der mich zu der betreffenden Zeit als Zeuge begleiten konnte. So ging ich zitternd in die “Hoehle des Loewens”, einem Raum, in dem viele mich feindlich anblickende Nazileute vor ihren Schreibmaschinen sassen. Der mit mir verhandelnde “Herr” wollte mich dazu ueberreden jetzt zuzugeben, dass das damals von mir als richtig angegebene Datum ein Irrtum gewesen waere, wenn ich das taete, koennte ich die Wohnung behalten. Ich tat es natuerlich nicht und verliess unter Androhungen von Seiten des Nazis den Raum. Das Seminar wurde dann so schnell wie irgend moeglich in die Theodor Herzl Schule verlegt, wo man mir Raeume zur Verfuegung stellte.
Von 1932 - 39 hatte ich eine arische Haushaelterin, die bis zu meinem Fortgang treu zu mir hielt und mir noch heute schreibt, es war die gluecklichste Zeit ihres Lebens, die sie in meinem Hause verbracht hatte. Unangenehm war es freilich fuer mich, dass ihr Schwiegersohn, der ein erklaerter Nazi war, in meiner Wohnung aus und einging und meine Bekannten mich immer wieder vor ihm warnten.